Für Babyboomer hat die Politik 2023 eine attraktive Rentenregelung geschaffen. Hier erzählen ein Erzieher und ein Vertriebsmitarbeiter, wie sehr sie davon profitieren.Eigentlich galt in Deutschland immer der Grundsatz: Wer arbeitet, erhält keine Rente. Dahinter stand der Gedanke, dass die Rente eine Art Schutz ist für Menschen, die wegen ihres Alters nicht mehr arbeiten können. Zwar war es möglich, auch nach der Rente weiter zu arbeiten, doch das Arbeitseinkommen wurde auf die Rente angerechnet – sprich, sie wurde gekürzt und es gab nur begrenzte Freibeträge.Seit dem 1. Januar 2023 ist das Geschichte. Die Hinzuverdienstgrenzen für Altersrenten sind komplett gefallen. Jeder und jede kann neben der Rente ein Gehalt beziehen, ohne dass die Rente gekürzt wird. Das hat enorme Auswirkungen vor allem für die vorgezogene Altersrente ab 63. Wer sie beantragt – also vor dem Erreichen der Regelaltersrente eine Rente beziehen möchte, muss zwar die gesetzlichen Abschläge in Kauf nehmen – arbeitet man danach jedoch weiter, werden diese Bezüge nicht mehr durch den Hinzuverdienst verringert. Das macht die vorgezogene Altersrente für viele Menschen wesentlich attraktiver.Laut Angaben der deutschen Rentenversicherung machten 2023 rund 116.000 Menschen von der neuen Möglichkeit Gebrauch. Ziel der Politik ist es, dass Fachkräfte motiviert werden, länger im Job zu bleiben. Aber wird dieses Ziel tatsächlich erreicht? Oder gibt es Mitnahmeeffekte und Menschen profitieren, die gar nicht planten, vorzeitig aus dem Arbeitsleben auszuscheiden? Im stern erzählen zwei Babyboomer von ihren Erfahrungen.Matthias, 64, Key-Account-ManagerAlles begann mit einer Bootstour in Holland. Wir waren vier Männer und haben gequatscht über Gott und die Welt. Auch über die Rente. Wir sind ja alle im gleichen Alter, Babyboomer, zwischen 60 und 65. Einer der Freunde, Michael, erzählt, dass er in den kommenden Tagen seine vorgezogene Rente beantragen wolle, aber voll weiterarbeiten werde, ohne dass die Rente gekürzt wird. Ich hatte von dieser Möglichkeit zwar schon gehört, aber Michael war der Erste in meinem Freundeskreis, der sie nutzte. Er arbeitet als leitender Ingenieur in einem großen Konzern und bezieht ein Spitzengehalt. Sein Job macht ihm Spaß und er hat kein Problem damit, bis 67, also bis zur Regelaltersgrenze, weiterzumachen.Nur vier Wochen später bekam ich das GeldAber es gibt eben seit 2023 diese Möglichkeit, gleichzeitig ein Einkommen und eine Rente zu beziehen, ohne dass die Rentenbezüge gekürzt werden. Die Politik wollte damit wohl einen Anreiz schaffen, damit gut qualifizierte Fachkräfte nicht vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden. Aber Michael hatte nie vor, vorzeitig aufzuhören und ich eigentlich auch nicht.Aber ich dachte mir, wenn das bei Michael so gut klappt, dann mach ich das auch. Das war im September vergangenen Jahres, kurz nach meinem 64. Geburtstag. Ich stellte online meinen Antrag auf vorgezogene Rente, das hat vielleicht eine halbe Stunde gedauert. Die Voraussetzung dafür ist, dass man zwischen dem 18. bis zum 63. Lebensjahr mindestens 35 Jahre lang durchgehend gearbeitet hat. Anfang Oktober hatte ich noch eine Frage und rief bei der Hotline an. Die Sachbearbeiterin rief umgehend zurück und meinte, meine Akte sei bereits erledigt und die Frage erübrige sich. Ich dachte, das ist keine deutsche Behörde, irgendetwas stimmt hier nicht‘.Nur vier Wochen später, am 10. Oktober, bekam ich meinen Rentenausweis zugeschickt und mir wurden erstmals Altersbezüge überwiesen. 1300 Euro, sogar rückwirkend auch für den September. So schnell ist noch kein einziger Behördenantrag von mir bearbeitet worden. Wo ist da eigentlich der Vorteil für den Staat?1300 Euro Rente sind nicht viel. Ich habe in jungen Jahren wenig verdient und wenn man vor Erreichen der Regelaltersrente den Antrag stellt, kommen ja erhebliche Abzüge auf einen zu. Aber ich arbeite voll weiter und verdiene mittlerweile auch sehr gut. Mein Jahresgehalt liegt bei rund 120.000 Euro. Davon zahle ich natürlich auch weiterhin Rentenbeiträge.Die 1300 Euro, die ich von der Rentenkasse monatlich bekomme, lege ich komplett zur Seite, ich packe sie in einen Fonds und wenn ich dann mit 66 Jahren und vier Monaten meine Regelaltersgrenze erreicht habe und “wirklich” in Rente gehe, bessere ich die derzeit mickrigen Bezüge auf. Ich hab auch früher schon 600 Euro monatlich dafür zur Seite gelegt, aber diesen Sparbetrag konnte ich nun auf über 2000 Euro erhöhen. Das ist super.Andererseits bin ich auch fast ein bisschen schockiert. Plötzlich bin ich Rentner. Dabei hat sich nichts in meinem Leben geändert. Und ich frage mich natürlich, wo ist da eigentlich der Vorteil für die Rentenversicherung und für den Staat?Rainer, 65, ErzieherIch habe mit Anfang 60 erstmals eine Rentenberatung gemacht und war erschüttert. Nach Abzug von Steuern, Kranken- und Pflegeversicherung würden mir von meiner Rente netto rund 1700 Euro bleiben. Und das auch nur, wenn ich bis zur Regelaltersgrenze durchhalte. Die liegt für mich bei 66 Jahren und zwei Monaten. Das hat mich ganz schön erschreckt. Nach 40 Jahren als Erzieher so wenig Rente zu bekommen. Der Rentenberater empfahl mir, nach Möglichkeit in den kommenden Jahren Vermögen aufzubauen. Ich dachte, toll, aber wovon? Damals verdiente ich in Vollzeit nach 40 Berufsjahren und endlich in der höchstmöglichen Gehaltsstufe angekommen rund 2600 Euro netto. Davon konnte ich gut leben, aber ein Vermögen aufbauen ließ sich damit nicht.Außerdem war mir klar, dass es sehr schwer sein würde, meinen Job bis zum bitteren Ende durchzuhalten. In der Kita zu arbeiten, bedeutet Stress purErzieherinnen werden dringend gesucht, schlecht bezahlt und können meist nicht bis 67 arbeiten. Der Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen bietet für sie Chancen
© MaskotIch liebe meinen Beruf, die Arbeit mit Kindern gibt einem unheimlich viel. Aber in der Kita zu arbeiten, bedeutet Stress pur. Der Adrenalinspiegel steigt von dem Moment, wo du die Kita betrittst und sinkt erst wieder, wenn das letzte Kind gegangen ist. Man übernimmt viele Vertretungen, weil der Krankenstand bei Erzieherinnen und Erziehern hoch ist. Das heißt, man arbeitet oft allein in einer Gruppe mit 15 Kindern und vielleicht noch einer Praktikantin. Der Beruf ist psychisch belastend, aber auch physisch: Ich war Mitte 50, als mir zum ersten Mal ein Fünfjähriger ausgebüxt ist, der war einfach schneller als ich. Ich konnte auch nicht mehr so lange auf dem Fußboden sitzen. Den Lärmpegel empfand ich zunehmend als belastend und permanent auf jede mögliche Situation unmittelbar reagieren zu müssen, wurde auch nicht einfacher. Ich habe mich schließlich entschlossen, innerhalb des Unternehmens aus der Kita in die ambulante Betreuung von psychisch Erkrankten zu wechseln. In dem Zusammenhang habe ich Stunden reduziert und bin von 39 Stunden runter auf 30 Stunden. Das hat meine Lebensqualität immens verbessert, aber es bedeutete auch, dass ich weniger Geld in die Rentenkasse einzahle und meine Altersvorsorge sich eher verschlechtert.Seit vielen Jahren bin ich Betriebsrat in unserem Unternehmen. Anfang 2023 fragte mich eine Kollegin, ob sich für sie diese neue Regelung rechnen würde – mit 63 in Rente zu gehen und danach weiterzuarbeiten.Die Regelung ist der HammerIch hatte mich mit dem Thema bis dahin noch gar nicht beschäftigt. Also informierte ich mich und konnte es erst gar nicht glauben: Die Regelung erlaubt es, die letzten Arbeitsjahre noch einmal neu zu denken und ermöglichte auch mir eine neue Perspektive. Ich habe alles ganz genau für meinen Fall durchgerechnet und im September 2023 die vorgezogene Rente beantragt. Mit Abschlägen erhalte ich seitdem 1600 Euro netto monatlich. Gleichzeitig arbeite ich weiter in Teilzeit 24 Stunden die Woche und verdiene 2000 Euro netto. Mit dem Gehalt und der Rente zusammen komme ich also auf insgesamt 3600 Euro netto im Monat – so viel habe ich noch nie in meinem Leben verdient.Wer körperlich hart arbeitet, schafft das in der Regel nicht bis 67. Gerade diesen Berufstätigen soll ein flexibler Übergang in die Rente ermöglicht werden
© TerryJDavon führe ich kein luxuriöses Leben. Ich nutze das zusätzliche Geld, um ein Polster anzusparen. Bis ich im September 2025 mein reguläres Renteneintrittsalter erreiche, werde ich rund 30.000 Euro zurückgelegt haben. Damit kann ich meine eher bescheidene Rente aufbessern oder besondere Ausgaben bestreiten, wenn etwa das Auto kaputtgeht oder an der Wohnung etwas gemacht werden muss. Ich finde die Regelung fair: Mein Arbeitgeber behält länger eine Arbeitskraft – und ich kann es mir leisten, meine letzten Berufsjahre in Teilzeit zu arbeiten und dabei ein finanzielles Polster aufbauen. Genau wie es mir mein Rentenberater damals empfohlen hatte.
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Author : Doris Schneyink
Publish date : 2025-04-21 22:45:00
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